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Donnerstag, 15 Mai 2025
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    StartFrauenpower„Was wir brauchen? Kollektive Veränderung. Die Klimakrise betrifft uns alle."

    „Was wir brauchen? Kollektive Veränderung. Die Klimakrise betrifft uns alle.”

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    Journalistin, Speakerin, Autorin und Klimaaktivistin Louisa Schneider erlebt auf ihren Reisen hautnah, wie die Auswirkungen der Klimakrise ganze Dörfer, Länder und Menschen zerreißt. Sie schaut genau hin. Geht in Begegnung. Trifft Menschen an den Brennpunkten der Krise. Und setzt sich für das ein, was so dringend nötig ist: Kollektive Veränderung. Über Social Media teilt sie ihre Erfahrungen und verbreitet aktiv wichtige Botschaften. In ihrem Buch „Grad°jetzt” zeigt sie auf, welche Chancen wir haben, um uns aus der systematischen Ausbeutung von Natur und Mensch zu befreien. Und auf ihren Shows bringt sie genau das dem Publikum interaktiv nahe. Wir sprachen mit ihr.

    Louisa, du leistest einen immensen Beitrag zur Aufklärung und Veränderung im Bezug auf Klimathemen. Wie verlief dein Weg hin zum Aktivismus?
    Ich bin auf dem Land aufgewachsen: Natur war für mich nie „die Umwelt“, sondern der Mittelpunkt meiner Lebenswelt. Doch wirklich politisch wurde mein Interesse, als ich erkannte: Die Klimakrise ist nicht nur ein ökologisches Problem – sie ist eine Frage von Gerechtigkeit. Sie verschärft Ungleichheiten, nimmt Menschen ihre Lebensgrundlage, während die Hauptverursacher*innen oft unberührt bleiben. Diese Ungerechtigkeit hat mich wütend gemacht und diese Wut hat mich in Bewegung gesetzt.

    Auf deinen Reisen hast du verschiedenste katastrophale Missstände gesehen. Unter anderem hast du die fünf „Kipppunkte” der Klimakrise besucht. Welche Zustände dort haben dich nachhaltig besonders mitgenommen?
    In Brasilien kämpften die Yanomami um ihre Landrechte – um Identität, Leben, Zukunft. In Senegal haben steigende Meeresspiegel Menschen zu Binnenflüchtlingen gemacht. In Kanada brannten die Wälder kilometerweit. In Grönland wurde mir klar: Das Eis, das da schmilzt, hält unser Klimasystem im Gleichgewicht. Und in Australien traf ich Menschen, die nicht aufgegeben haben, obwohl ihr Zuhause von einem Kohleriesen abgebaggert werden soll. Aber was mich am meisten bewegt hat? Die Hoffnung der Menschen. Ihr Mut. Und ihre Entscheidung, nicht zu kapitulieren.

    Reise zum Klima, Greenland, Ilulissat Icefjord, © André D’Elia / Greenpeace 

    Und dabei trifft die Klimakrise oft diejenigen am härtesten, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Was müsste passieren, damit der globale Norden seiner Verantwortung gerecht wird?
    Er muss zahlen. Für Schäden. Für Anpassung. Für eine gerechte Zukunft. Und er muss Macht teilen. Das bedeutet: Marginalisierte Menschen in Entscheidungsprozesse involvieren. Klimafinanzierung wirklich fair gestalten. Dekolonialisieren. Neoliberalismus entwurzeln. Ressourcenverteilung konsequent neu denken. Klimapolitik global demokratisieren. Und: aufhören, koloniale Muster in neue grüne Lösungen zu verpacken.

    Betrachten wir unsere aktuelle Politik: Wird den Klimathemen genug Raum gegeben?
    Nein. Noch immer werden fossile Konzerne subventioniert und die Klimapolitik als „Wirtschaftsbremse” diffamiert. Das zeigt: Der Ernst der Lage ist noch nicht im Zentrum der Macht angekommen. 

    Kann eine Demokratie, die oft kurzfristigen Wahlzyklen unterliegt, die langfristigen Veränderungen denn überhaupt umsetzen, die wir für den Klimaschutz brauchen?
    Ja, wenn wir sie stärken. Wenn wir Lobbyismus regulieren. Wenn wir langfristige Klima-Ziele gesetzlich verankern. Und wenn Menschen mitgestalten dürfen, etwa durch Bürger*innenräte. Demokratie ist kein Hindernis. Sie ist unsere Chance.

    Klimagerechtigkeit impliziert nicht nur die CO₂-Reduktion. Bei der Klimakrise steht alles in Korrelation. Von wirtschaftlicher Ungleichheit über den Kolonialismus bis hin zum Patriarchat. Wie könnte ein allumfassendes Grundgerüst für wirklich realistische Veränderungen aussehen?
    Es braucht eine neue Erzählung. Eine, die Ökonomie mit Ökologie, Gerechtigkeit mit Klimazielen, Feminismus mit Energiepolitik denkt. Es geht nicht darum, das System ein bisschen grüner zu machen. Es geht darum, die Wurzeln zu hinterfragen. Und gerechte Alternativen aufzubauen – mit denen, die bisher ausgeschlossen wurden.

    Nun ist unsere Wirtschaft vom Kapitalismus geprägt. Brauchen wir also ein völlig neues System oder kann Kapitalismus auch ökologisch sein?
    Der aktuelle Kapitalismus lebt von Ausbeutung – von Menschen und Natur. Eine ökologische Transformation in seinem Rahmen? Schwierig. Was wir brauchen, ist ein System, das Wohlstand neu definiert. Jenseits von Wachstum und Profit. Ein System, das Fürsorge, Kreisläufe und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt.

    Man könnte meinen, die Superreichen fliegen mit ihren Privatjets wissentlich in die Klimakrise hinein. Wie kann man hier für mehr Bewusstsein sorgen und politisieren?
    Indem wir ehrlich benennen: Klimakrise ist Klassenfrage. Wer viel hat, hat auch mehr Verantwortung. Und wer profitiert, muss zahlen. Eine Vermögenssteuer für Klimaausgleich. Ein Ende klimaschädlicher Subventionen. Und eine Sprache, die Machtverhältnisse sichtbar macht, statt sie zu verharmlosen.

    Und wie ziehen wir die 100 Konzerne, die für über 70 % der Emissionen verantwortlich sind, zur Verantwortung?
    Durch klare Regeln. Ambitionierte Klimagesetze. Internationale Haftung. Aber auch durch Druck von unten: Boykotte, Bewegungen, Medien. Und durch neue Visionen: Unternehmen, die für Gemeinwohl arbeiten, nicht für Rendite.

    Viele Menschen fühlen sich angesichts der Klimakrise ohnmächtig. Schauen wir auf die Otto-Normalverbraucher*innen, mag Nachhaltigkeit im Alltag angekommen sein – aber ist das genug?
    Ein Bio-Joghurt stoppt keinen Ölkonzern. Nachhaltiger Konsum ist wichtig, aber kein Ersatz für politischen Druck. Aktivismus ist, wenn wir gemeinsam laut werden, Macht verschieben, Strukturen verändern. Und genau das brauchen wir: kollektive Veränderung – nicht nur individuelle Anpassung.

    Du sprichst von „aktiver Hoffnung”. Was bedeutet das für dich und wie können wir diese praktizieren?
    Aktive Hoffnung ist nicht naiv. Sie ist eine Entscheidung. Trotz allem zu glauben: Es lohnt sich, zu kämpfen. Es ist noch nicht zu spät. Hoffnung bedeutet handeln, auch wenn wir nicht wissen, ob es reicht. Hoffnung ist Widerstand gegen die Resignation.

    Dabei wird die Komfortzone ja doch häufig bevorzugt.
    Wir sind bequem geworden. Wir delegieren Veränderung. Doch genau das ist unser Risiko. Dass wir zu spät aufwachen. Ich habe Menschen getroffen, die trotz Flucht, Dürre oder Waldbrand nicht aufgeben. Sie lehren uns: Mut entsteht nicht aus Sicherheit, sondern aus Notwendigkeit.

    Reise zum Klima, Australien, Cairns, Great Barrier Reef, © Markus Mauthe/Greenpeace

    Von welchen Bewegungen können wir uns etwas abschauen?
    Von so vielen. Indigene Bewegungen in Brasilien. Klimaaktivist*innen in Afrika. Pacific Climate Warriors. Sie kämpfen nicht nur gegen Emissionen, sondern für Würde, Landrechte und Gerechtigkeit. Ihre Kämpfe sind unsere Zukunft. Sie schützen 80 % der biologischen Vielfalt der Erde – auf nur einem Viertel der Landfläche. Sie haben über Jahrhunderte gelernt, im Einklang mit der Natur zu leben. Ihre Perspektiven sind nicht romantisch, sie sind radikal notwendig. Doch sie werden systematisch ignoriert, vertrieben, kriminalisiert. Das muss sich ändern.

    Viele Regierungen setzen weiter auf fossile Brennstoffe. Darunter China und die USA. Zwei große Player. Zu pessimistisch?
    Es ist realistisch, das zu sehen. Aber auch: Es bewegt sich was. China stößt zwar die meisten Emissionen weltweit aus, aber baut gleichzeitig die erneuerbaren Energien schneller aus als jedes andere Land der Welt. 2023 kamen laut IEA fast 50 % der global neu installierten Photovoltaik-Leistung aus China. Auch bei Windkraft, Batterietechnologie und Elektromobilität ist China führend. Und ja, überall ist rechts auf dem Vormarsch, aber die Menschen kommen zusammen: Erst vor kurzem standen schließlich Millionen Menschen auf den Straßen der USA und protestierten für ihre Rechte. Städte, Unternehmen, Gemeinschaften gehen voran – oft gegen ihre Regierungen. Die entscheidende Frage ist: Wie groß kann der Druck von unten werden? Und wie sehr sind wir bereit, internationale Solidarität zu leben?

    Wie präsent ist die Klimabewegung zum jetzigen Zeitpunkt?
    Die Bewegung ist groß und sie ist da. Sie hat sich vernetzt, man hat Allianzen geschmiedet und Banden gebildet, weil man weiß: Klima betrifft alle Lebensbereiche. Die Bewegung wird breiter, vielfältiger, inklusiver. Und: Sie professionalisiert sich. Klimagerechtigkeit findet jetzt auch in Gerichtssälen, Start-ups, Redaktionen und Schulen statt.

    Klimaaktivist*innen wird häufig vorgeworfen, zu radikal zu sein. Was sagst du dazu?
    Radikal ist, wenn Konzerne wissentlich unseren Planeten verheizen und trotzdem Milliarden verdienen. Radikal ist, wenn ein System weiter auf Wachstum setzt, obwohl es längst an seine planetaren Grenzen stößt. Radikal ist, wenn eine globale Krise eskaliert, die Millionen Menschen die Lebensgrundlage entreißt. Wer radikal die Zerstörung unseres Planeten betreibt, sitzt oft in Anzügen in Vorstandsetagen von fossilen Großkonzernen. In der Klimabewegung sind überwiegend Menschen, die ihre Freizeit dazu verwenden, unbezahlte Arbeit zu leisten, um unsere Lebensgrundlage zu schützen – Arbeit, die eigentlich von Politiker*innen und einem demokratischen Sozialstaat geleistet werden sollte. Menschen mit weniger Einkommen haben oftmals auch weniger Möglichkeiten, Kapazitäten und Ressourcen, um sich über die Lohnarbeit hinaus noch freiwillig zu engagieren. Das ist ein systemisches Problem. Aber ja: Die Klimabewegung muss inklusiver werden. Aber sie ist längst keine homogene Blase. Da sind Schüler*innen, Landwirt*innen, Menschen mit Fluchterfahrung – alle, die für ihre Zukunft kämpfen.

    Wie kann die Bewegung denn noch inklusiver werden?
    Indem sie zuhört. Räume schafft. Kämpfe verbindet. Nicht nur über CO₂ spricht, sondern über Jobs, Mieten, Gerechtigkeit. Wenn Menschen sehen: Klimaschutz betrifft ihr Leben direkt. Denn dann wird er relevant und zur gemeinsamen Aufgabe.

    Wobei die Medien auch eine Rolle spielen.
    Richtig. Sie sind Meinungsmacher*innen, im Guten wie im Schlechten. Wenn sie nur Katastrophen zeigen, lähmen sie. Wenn sie Lösungen verschweigen, nehmen sie uns Perspektive. Sie sind die Kontrollinstanz für unsere Politik und Truth Seeker und Speaker für unsere Gesellschaft, wenn man seinen Job richtig macht. Und darum brauchen wir konstruktiven Klimajournalismus – ehrlich, berührend und empowernd.

    Apropos: Dein Buch „Grad°jetzt” fand unglaublich viel Anklang. Welche Botschaft möchtest du damit vermitteln?
    Dass wir mächtig sind. Dass Veränderung möglich ist. Und dass Hoffnung kein passiver Zustand, sondern eine aktive Entscheidung ist. Grad°jetzt heißt: Jetzt ist unsere Zeit, um loszulegen. Um Grenzen zu verschieben. Um über uns selbst hinauszuwachsen. 

    Und wie gelingt es dir, immer wieder eigene Kraft zu schöpfen?
    Durch Begegnungen. Geschichten. Meiner Familie. Und der Überzeugung, dass wir gemeinsam mehr sind als unsere Angst. Und manchmal einfach durch einen stillen Moment am Meer.
    Interview: Hanna Odenwald

    Grad°jetzt – Warum wir die Hoffnung nicht aufgeben dürfen –
    eine Reise zu den Klimabrennpunkten unseres Planeten,
    Louisa Schneider, ISBN 978-3-95728-783-0

    Tickets für die Show am 11. Mai im Zeise Kino HIER | Louisa Schneider Online: WEBSITE / INSTAGRAM

    Aufmacherbild: © Markus Mauthe/Greenpeace