Narzissten können uns das Leben zur Hölle machen, aber nicht alle zeigen sich so offensichtlich. Bestes Beispiel sind verkappte Narzissten. Sie verkleiden sich als gutmütige Helfer, hochsensible Genies oder besorgte Helikoptereltern. Doch hinter diesen Fassaden lauert ein ebenso starkes Bedürfnis nach Bewunderung und Anerkennung wie bei offenen Narzissten. Die subtilen Manipulationen, mit denen sie versuchen, die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu lenken, können verheerende Auswirkungen haben. Wie kann man sich schützen? Dr. Britta Papay aus Eppendorf möchte Antworten geben, in ihrem neuen Buch „Verkappte Narzissten – Wie wir sie enttarnen und ihnen die Macht nehmen“, das sie gerade in der in der Galerie Melbye-Konan in Rotherbaum vorgestellt hat.
HAMBURG WOMAN: Sie sind eine auf Narzissmus spezialisierte systemische Therapeutin. Warum setzen Sie sich ausgerechnet mit diesem Thema so intensiv auseinander?
Dr. Britta Papay: Das hat drei Gründe: das Thema hat in meinem eigenen Leben einen großen Raum, mehr dazu verrate ich ausführlich in meinem Buch. Es begegnet mir sehr oft in meiner Praxis, sowohl als Paartherapeutin als auch in der Einzelarbeit und es ist ein Thema, über das viele Fehlannahmen herrschen und das dringend einer Entmythisierung und Enttabuisierung bedarf.
Gibt es Ihrer Erfahrung nach typische Fehlannahmen über Narzissmus, mit denen Sie gerne aufräumen würden?
Ja, dass Narzissmus etwas Böses ist oder das es nur im grandiosen, offensichtlichen Gewand daher kommt wie beim aktuellen amerikanischen Präsidenten. Narzissmus ist ein menschenimmanentes Phänomen, das es schon immer gegeben hat und immer geben wird und das jeden von uns betrifft. Der bekannte Psychologe und Psychotherapeut Rainer Sachse spricht vom sogenannten “normalen Narzissmus“. Narzissmus wird erst dann zum Problem, wenn ein selbstverliebter Mensch sich über andere erhöht und diese gleichzeitig abwertet
In Ihrem neuen Buch legen Sie einen besonderen Fokus auf den „verkappten Narzissmus“. Dabei handelt es sich um einen bestimmten Typ des Narzissmus, bei dem sich die Betroffenen hinter einer hilfsbereiten und gutmütigen Fassade „verstecken“. Warum haben Sie sich dies als Hauptthema für Ihr Buch ausgesucht?
Verkappter Narzissmus ist beides: sowohl verdeckter vulnerabler Narzissmus als auch grandioser, offener Narzissmus – nur etwas besser versteckt als wir es kennen. Ich zeige in meinem Buch 20 Typologien verkappter Narzissten, die sowohl vulnerable Narzissten sein können wie die Mutter Theresa oder das Aschenputtel. Und ich zeige grandiose Narzissten wie den großzügigen Gönner, den kumpelhaften Chef oder die Grande Dame. Ich wollte damit zeigen, dass Narzissmus auch da ist, wo wir ihn auf den ersten und manchmal sogar auf den zweiten Blick nicht vermuten. Es geht darum, die „Narzissmus-Brille” aufzusetzen und lernen das Phänomen in all seinen Varianten zu erkennen, damit man besser damit umgehen kann.
Narzissmus ist ein Wort, das wahrscheinlich bei vielen zunächst negative Konnotationen hervorruft. Wie nehmen Sie den Umgang mit Narzissmus und Narzissten in unserer Gesellschaft wahr? Würden Sie sagen, die Darstellung ist vielleicht zu einseitig?
Den schlechten Leumund hat das Wort Narzissmus dem Dichter Ovid zu verdanken und seiner Sage vom Jüngling Narziss und der verschmähten Nymphe Echo. Der in sein Spiegelbild verliebte Narziss ertrinkt zum Schluss. Damit will gesagt werden, dass wer sich selbst zu sehr liebt, böse endet. In Wahrheit sind Narzissten zwar selbstverliebt, das aber hat wenig mit authentischer Selbstliebe oder mit gesundem intakten Selbstwert zu tun, sondern vielfach handelt es sich um ein aufgeblähtes Konstrukt, ein großes Ego, das ein verletztes Klein-Ich schützen möchte. Leider oftmals mit untauglichen Mitteln.
Wie kann man sich davor schützen, selbst in toxische Dynamiken mit Narzissten zu geraten? Gibt es Signale, auf die man von Anfang an achten kann?
Ja, Narzissten brauchen eine Bühne, und diese Bühne sind Beziehungen, und zwar Beziehungen jeglicher Art. Es ist egal, ob es die partnerschaftlichen Beziehungen sind, die beruflichen, die freundschaftlichen oder die Eltern-Kind-Beziehungen. Narzissmus ist dann schädlich, wenn die Selbstverliebtheit sich mit der Überhöhung über andere und deren Abwertung paart. Man sollte immer in Beziehung auf eigene Störgefühle und ungute Bauchgefühle achten. Bin ich mit diesen Menschen in der Beziehung auf Augenhöhe, werde ich angenommen und respektiert, werden meine Wahrnehmungen akzeptiert – man kann die Wahrnehmung eines anderen Menschen nicht teilen, aber dennoch respektieren und akzeptieren.
Wenn mein Gegenüber mich schlecht behandelt, mich abwertet, demütigt, unverschämte Bemerkungen macht, ist das immer ein Warnsignal und sollte angesprochen und thematisiert werden. Doch viele Menschen geraten aus eigenen, narzisstischen Motiven in solche Beziehungen und wischen die Störgefühle weg, glauben sie müssten sich selbst mehr anstrengen oder nicht zu empfindlich sein, dann wird das schon. Oder sie finden ihre eigene Erfüllung im narzisstischen Dienen, z.B. wenn sie es brauchen, gebraucht zu werden.
Beim Dating ist ein wichtiges Warnsignal, wie der andere über Ex-Partner oder Partnerinnen spricht. Wenn jemand grundsätzlich schlecht über frühere Partner spricht, sollte das immer ein Warnsignal sein. Auch zu beobachten, wie ein anderer in stressigen oder unerwarteten Situationen reagiert, ist ein Indiz. Narzissten haben ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis und kommen mit ungeplanten Ereignissen oder Planänderungen nicht besonders gut zurecht.
Wenn man merkt, dass jemand aus dem eigenen Umfeld Anzeichen eines verkappten Narzissten zeigt, wie sollte man damit umgehen? Was empfehlen Sie?
Sage nie einem Narzissten, du Narzisst! Er/sie wird mit Schuldumkehr und Zurückweisung reagieren. Oft fehlt ihnen die Fähigkeit und die Bereitschaft, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und Verantwortung für ihr mieses Verhalten zu übernehmen.
Es braucht aus meiner Sicht immer drei Dinge: Selbsterkenntnis, sprich: Wo sind meine eigenen blinden Flecken, wo sind meine eigenen narzisstischen Verhaltensweisen? Zweitens: Erkenne dein Gegenüber, also das Verständnis für narzisstische Motive und narzisstische Beziehungsdynamiken und drittens die Bereitschaft, etwas zu verändern, was ich auch die radikale Akzeptanz nenne. Wenn ich seit Jahren mit einem hochgradig narzisstischen Partner in Beziehung lebe, muss ich mir klar darüber werden, dass dieser Mensch vermutlich niemals bereit sein wird, sich zu ändern, dass ich diesen Menschen nicht verändern und nicht “gesund lieben” kann und ihn auch nicht überzeugen kann, sich Unterstützung und Hilfe zu holen, also kann ich nur Schlüsse für mich selbst ziehen und mir überlegen, wie ich gut für mich sorgen und mich gut abgrenzen kann. Allein zu diesem Thema der Abgrenzung kann man ein ganzes Buch schreiben.
Wir alle haben narzisstische Züge in uns. Sie sagen, man könne lernen, mit diesen „richtig” umzugehen. Was bedeutet es für Sie ein „guter Narzisst” zu sein?
Ein guter Narzisst ist ein Mensch, der sich seine Einzigartigkeit bewusst ist und gleichzeitig auch bereit ist, anzuerkennen, nur ein klitzekleines Teil des Universums zu sein und dem Leben und anderen mit einer gewissen Demut zu begegnen. Vor allen Dingen wichtig als Antidot gegen Narzissmus sind neben Demut auch authentisches Interesse für andere und Mitgefühl mit sich selbst und mit anderen. Und die Bereitschaft Verantwortung für das eigene Handeln und dessen Folgen zu übernehmen. Ein guter Narzisst findet sich selbst toll, hat es aber nicht nötig, andere abwerten und sich drüber zu stellen oder Menschen als Objekte und Mittel für die eigenen Zwecke zu benutzen.
Ein guter Narzisst zu sein, ist eine Lebensaufgabe. Luca Mohr

Buchtipp: „Verkappte Narzissten – Wie wir sie enttarnen und ihnen die Macht nehmen“, Dr. Britta Papay, NOW Verlag, Taschenbuch, 256 Seiten, 20€
Foto: Dr. Britta Papay © Anja-Catrin Einchinger