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Freitag, 13 Dezember 2024
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    StartFrauenpowerÜber Selbstbestimmung und Authentizität

    Über Selbstbestimmung und Authentizität

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    Sprechen wir von Authentizität, dann sprechen wir von BOVIY. Die Sängerin, die einst als Vivie Ann auf der Bühne stand, nutzt ihre Stimme nicht nur für fesselnde Klänge. Sie thematisiert auch, wie wichtig das Selbstbestimmungsrecht ist und dass wir kollektiv füreinander einstehen. Kürzlich erschien ihre neue Single „Back 2 U“ – und wir durften mehr erfahren.

    Von Vivie Ann zu BOVIY. Wieso der Neuanfang?
    Ich hatte mich damals ganz schön doll in eine Spirale geschraubt. Mein Album wurde veröffentlicht und ich tauchte aus einem langen dunklen Arbeitstunnel auf. Ich habe mir so lange von anderen Menschen erzählen lassen, wie ich klingen muss, aussehen und sein soll, dass ich total vergessen hatte, was mich eigentlich ausmacht. Ich brauchte einen harten Cut und wollte mich neu definieren. Also wählte ich einen neuen Namen, der weder meinen bürgerlichen Vornamen enthält, noch etwas über mein Geschlecht verrät – und beschloss, mir ab jetzt selbst treu zu bleiben.

    Als Flinta*-Person in der Musikindustrie – wie sieht es da mit patriarchalen Strukturen aus?
    Die gibt es leider nach wie vor. Erst kürzlich habe ich mit meinen Musiker-Kollegen hinter der Bühne unser Setup gecheckt – und die örtlichen Techniker der Location haben sich allen männlichen Mitgliedern meiner Crew vorgestellt, mich jedoch eiskalt ignoriert. Das ist keine Seltenheit und eigentlich eine „schöne” Karikatur der Musikindustrie. Man wird entweder als „weibliche Begleitung” wahrgenommen oder mit „Hallo, schöne Frau!” begrüßt und damit sofort von oben herab objektiviert. Auch die Tatsache, dass Flinta*-Personen immer noch kaum in Festival-Lineups oder Nominierungslisten von wichtigen Musikpreisen vorkommen, spricht doch Bände. Und das, obwohl wir seit Jahren dafür kämpfen. Und dazu kommt: Sobald ich mich als Frau nach dem zehnten sexistischen Spruch aktiv wehre, gelte ich automatisch als „zickig”. Das alles zeigt sehr deutlich, wie wenig sich am Ende tatsächlich in der Umsetzung all der wirklich wichtigen Gleichberechtigungsvisionen tut – und dass Männer eben weiterhin an den Hebeln sitzen. Wir sind noch lange nicht dort angekommen, wo wir dringend hin müssen.

    Was benötigt es deiner Meinung nach, damit der Marginalisierung ein Ende gesetzt wird?
    Ich bin davon überzeugt, dass wir wirklich einen Bewusstseinswechsel in der Gesellschaft brauchen. Mir ist klar, dass diese alten verkrusteten Strukturen nicht innerhalb weniger Generationen verschwinden werden. Und ich weiß, dass es vielen Menschen schwerfällt, ihre Erziehung und Sozialisierung zu hinterfragen und ihre erlernte Lebensweise zu ändern. Es ist eben ein Prozess. Im Vergleich zur technisch-industriellen Entwicklung – ich meine, wir schicken mittlerweile Tourist*innen auf den Mond und KI ist inzwischen Teil unseres Lebensalltages – geht dieser Prozess nur eben leider ziemlich langsam voran. Das finde ich für ein Land, das sich immer noch als „Land der Dichter und Denker” bezeichnet und auf wirklich allen wichtigen Lebensebenen so privilegiert ist, ganz schön niederschmetternd und traurig. Es wirkt fast, als ob die ganze Thematik viele Menschen dann doch absolut nicht interessiert. Meiner Meinung nach sollte es mehr Elternhäuser geben, in denen es nicht selbstverständlich ist, dass (heteronormativ gesprochen) der Mann nach einer kurzen Babypause von wenigen Wochen wieder arbeiten geht, als wäre nichts passiert, die Frau hingegen weniger arbeitet und in finanzielle Abhängigkeit von Mann oder Staat gerät. Kinder sollten mitbekommen, dass es normal ist, dass beide Elternteile gleichermaßen involviert sind. Wenn das im eigenen Elternhaus nicht funktioniert, sollte die nächste Bildungsinstanz greifen – die Schule. Hier sollte statt blindem Gehorsam und „funktionieren müssen”, eine Kultur des Hinterfragens und der Selbstreflexion Einzug halten. Die Kinder sollten die Möglichkeit bekommen, ermutigt zu werden, aus diesen chauvinistischen, sexistischen Paradigmen auszubrechen, eigene Werte auszubilden, ohne dabei als „Querulanten” oder „aufmüpfig” zurechtgewiesen zu werden. Ich habe eine jüngere Schwester und ich sehe da eine Generation heranwachsen, die jetzt schon so wach und da ist. Selbst meine Söhne sind inzwischen schon extrem flink und bedacht, wenn es z.B. um gendergerechte Sprache geht. Das macht mir viel Hoffnung und macht mich auch ein kleines bisschen stolz.

    Nun bewegen wir uns auf politischer Ebene in eine kontraproduktive Richtung. Angesichts der letzten Wahlen, wie schätzt du die Gefahr möglicher antifeministischer Konsequenzen ein und welche Emotionen löst die aktuelle Lage bei dir aus?
    Ich bin enttäuscht, traurig, ziemlich entsetzt und fassungslos – vor allem, da ich in einer sehr linken Bubble lebe und teilweise gar nicht fassen konnte, was ich über die Wahlergebnisse gelesen habe. Seit so vielen Jahren kämpfen Flinta*-Personen und auch Männer für die Gleichstellung aller Menschen, für Chancengerechtigkeit und Menschenwürde – und jetzt sind wir wieder an dem Punkt, dass wir Parteien erstarken sehen, die das dunkelste Kapitel der deutschen und weltweiten Geschichte glorifizieren. Es bestürzt mich, dass diese Kräfte – die offensiv misogyn sind, gegen Minderheiten hetzen, Angst vor einer bunten Gesellschaft haben und ein Klima des Hasses und der Ausgrenzung nähren – sehenden Auges in Gremien und Parlamente gewählt werden. Mich beunruhigt die Sehnsucht nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen dieser Zeit, die Ohnmacht der etablierten Parteien dem wachsenden Unmut der Bevölkerung etwas zu entgegnen und ich kann nur hoffen, dass wir nicht aufhören, laut zu sein, aufzustehen, an der richtigen Stelle auf die Demo zu gehen oder Zivilcourage zu zeigen, wenn wir Zeugen von übergriffigen Situationen werden. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass wir aus Angst vor den Konsequenzen wegschauen und still werden. Ich weiß nämlich, dass die Mehrheit der Menschen in diesem Land keine Lust auf diesen braunen Unsinn hat. Wir dürfen uns nur nicht einreden lassen, dass wir damit alleine sind. Sind wir nicht! Wir sind mehr. Wir müssen nur deutlich lauter werden. 

    Dies drückst du auch durch deine Musik aus. Welche Message liegt dir besonders am Herzen?
    Mir ist es sehr wichtig in meiner Musik frei zu sein und diese Freiheit auch ganz klar nach außen zu tragen. Musik ist als Kunstform ja unheimlich expressiv und hat das Potenzial, viele Menschen zu bewegen. Genauso wie ich mir selbst diese Freiheit nehme und dafür einstehe, möchte ich auch andere dazu inspirieren und ermutigen. Damit geht für mich auch ganz stark das Recht auf Selbstbestimmung einher. Das Recht so zu leben, so zu lieben, sich so zu kleiden, sich so durch das Leben zu bewegen, wie es einem gut tut und wie man es ganz individuell für sich definiert und fühlt.

    Wo wir zum Beispiel auch bei der Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes wären.
    Ganz genau. Ein Beispiel dafür, was schon lange überfällig war und einfach so relevant für jene Menschen in unserer Gesellschaft ist, die es betrifft. Ich möchte in meiner Musik z. B. auch ganz deutlich die LGBTQIA+ und Flinta*-Szene sowie „Minderheiten” ansprechen und empowern – aber auch der breiten Masse zeigen, wie viel Spaß es macht, füreinander einzustehen, ohne uns an alten, anerzogenen Mustern und internalisierten Normen aufzuhängen. Das Gender-Sternchen, die richtigen Pronomen, die nicht gestellte Frage nach der „eigentlichen” Herkunft, all das sind doch absolute Kleinigkeiten in unserem privilegierten Leben. Wenn ich nur ein paar Menschen dazu ermuntern kann, sich diesen Themen zu widmen und Verhaltensmuster zu überdenken oder die Stimme derjenigen, die unter dem Abwinken und der Ignoranz von so vielen leiden, verstärken kann, dann habe ich die Welt durch meine Musik vielleicht ein kleines bisschen besser hinterlassen.

    Deine neue Single „Back 2 U” ist draußen! Welche Bedeutung hat der Song für dich?
    Back 2 U ist ein lebensbejahender Ruf nach Freiheit. Immer wenn ich den Song live spiele, fühle ich mich mutig, stark und auch ein bisschen frech. Es geht um das Klammern in einer Beziehung. Ich singe im Song, dass ich gerne losgelassen werden möchte und trotzdem oder gerade deswegen bleibe. Ich gehöre niemandem, bin niemandem etwas schuldig, sondern gebe mich gerne und ganz hin, aber das geht nur, wenn ich das Gefühl habe, dass ich mein Leben normal weiterführen kann und die Beziehung auf einem tiefen Vertrauen basiert, das keinerlei Kontrolle bedarf.
    Hanna Odenwald

    Tipp: BOVIY in der Elphi, am 25.01. um 20:30 Uhr

    Mehr Infos HIER. / Instagram: @listentoboviy

    Aufmacherbild: © Julia Pohle