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Sonntag, 20 April 2025
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    Für mehr Gleichstellung und Diversität

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    Prof. Dr. Jetta Frost, Vizepräsidentin für Transfer, Karrierewege und Chancengerechtigkeit an der Universität Hamburg, setzt sich unter anderem für die Gleichstellung als Förderung von Chancengleichheit und -gerechtigkeit sowie mehr Diversität ein. Wir sprachen mit ihr.

    Wie beobachtest du die gesellschaftliche Entwicklung, wenn es um Gleichstellung und Diversität geht?
    Es gibt inzwischen eine größere Sensibilität für Gleichstellung und Diversität. Wir erleben dies zum Beispiel in Talkrunden oder bei Panelzusammensetzungen, die heute in der Regel nicht mehr ohne Frauenbeteiligung stattfinden. Das Interesse, gleichstellungs- und diversitätsfördernde Maßnahmen umzusetzen, ist in vielen Organisationen enorm gestiegen. So ist unsere Universität als familiengerechte Hochschule zertifiziert und hat das Diversitäts-Auditverfahren „Vielfalt gestalten” absolviert. Gleichzeitig wächst aber mit zunehmender Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit das sogenannte Paradox der Gleichberechtigung („Gender-Equality-Paradox”): Je gleichberechtigter eine Gesellschaft ist, desto stereotyper sind Studienwahl und berufliche Interessen.

    Woran liegt das?
    Schlicht gesagt, muss man sich Neigungen leisten können. In wohlhabenden Ländern wie Deutschland oder der Schweiz – dort hängt die Studienwahl weniger von ökonomischen oder familiären Zwängen ab – sind Einstellungen zu Beruf und Familie konservativer ausgeprägt. Frauen haben andere Präferenzen und wählen häufiger andere Studienfächer als Männer.

    Der Gender-Pay-Gap existiert nach wie vor. Dass das Patriarchat nicht mehr vorherrscht, kann demnach nicht behauptet werden, richtig?
    Es gibt einen Gender-Pay-Gap, aber es gibt auch eine „dirty truth” – wie es die Ökonomin Claudia Goldin nennt. Sie hat für ihre Forschung zur Entwicklung der weiblichen Erwerbsarbeit gerade letztes Jahr den Nobelpreis erhalten. Letztlich kennen wir Frauen die schmutzige Wahrheit: Die große Mehrheit von uns steckt beruflich zurück, sobald Kinder da sind. Frauen arbeiten in familien- und kinderfreundlichen Jobs mit begrenzten Karrieremöglichkeiten. Männer verfolgen in der Regel ihre Karriere einfach weiter. Es liegt aber nicht daran, dass wir im Büro systematisch diskriminiert werden oder unsere Gehälter schlechter verhandeln. Frauen haben häufig viel längere berufliche Auszeiten als Männer und arbeiten viel öfter in Teilzeit. Ihre Berufserfahrungen sind dann geringer. Das begründet die Differenz in den Gehältern zwischen Männern und Frauen, obwohl wir heute formal gleich ausgebildet sind. Interessant ist, dass dies besonders ausgeprägt ist bei Paaren mit überdurchschnittlich gut verdienenden Ehemännern.

    Siehst du denn Chancen zur Veränderung?
    Das Ehegattensplitting zementiert die traditionelle Rollenverteilung. Der Satz an die Ehepartnerin „aus steuerlichen Gründen lohnt es sich nicht, wenn du mehr arbeitest”, hilft natürlich nicht dabei, den Gender-Pay-Gap zu reduzieren. Hier wäre also ein Ansatz – das sehen auch Eu-Kommission und OECD so. Bis dahin lautet die Empfehlung für junge Frauen, sich bei ihren Partnern durch Partnerschaftsverträge finanziell besser abzusichern, wenn sie beruflich kürzertreten. Sehr prägnant hat es auch Nobelpreisträgerin Goldin formuliert, als sie darauf verweist, dass die wichtigste Verhandlung einer Frau die mit der Person ist, mit der sie ihr Leben verbringen will.

    Wird sich unsere Gesellschaft deiner Meinung nach progressiv auf ein faires Gleichgewicht hinbewegen?
    Die formale Gleichheit ist in Deutschland im internationalen Vergleich schon wirklich hoch. Wir können uns das Tocqueville-Paradox vor Augen führen: Je geringer Ungleichheiten sind, desto sensibler werden Menschen für noch bestehende Ungleichheiten. Und vor diesem Hintergrund erfolgt dann auch das Ausloten weiterer, oft inkrementeller Verbesserungsmöglichkeiten.

    Du bist sehr engagiert. Worin liegt dein Antrieb und der Kern deiner Arbeit?
    Das Leitbild unserer Universität „innovating and cooperating for a sustainable future” ist mein Antrieb und prägt auch den konstruktiven Umgang mit Chancengerechtigkeit in unserer Universität: Nachhaltigkeit beinhaltet das Bestreben, die Gesellschaften der Gegenwart so zu gestalten, dass deren berechtigten Interessen entsprochen, zukünftige Entfaltungsspielräume gesichert und gestärkt werden können. Dazu gehört für uns ein umfangreiches Portfolio an Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung als Geschlechtergerechtigkeit, Diversität sowie Vereinbarkeit von Beruf/Studium und Familie. Gleichstellungsarbeit an der Universität ist stark davon geprägt, den Anteil an Professorinnen zu erhöhen. Wir möchten eine paritätische Besetzung erreichen – jetzt haben wir etwas mehr als 30% und gehören in Deutschland zu den Universitäten mit dem höchsten Anteil an Professorinnen. Die Ausgangslage ist eigentlich vielversprechend: Heute machen mehr Mädchen als Jungen Abitur und der Frauenanteil an Studierenden ist inzwischen auch bei etwas mehr als der Hälfte angelangt. Jedoch verlieren wir auf dem Weg zur Professur viele Frauen. Wir sprechen von einer „Leaky Pipeline”: Mit jeder nächsthöheren Qualifikationsstufe nimmt der Frauenanteil ab. Dies gilt für Wissenschaft und Wirtschaft gleichermaßen. Erstaunlicherweise ist die „Leaky Pipeline” besonders ausgeprägt in frauendominierten Studiengängen und fällt deutlich niedriger aus als in männerdominierten Fächern. Aus einer aktuellen Studie von Margit Osterloh und Katja Rost wissen wir, dass Männer und Frauen in den Studiengängen mit hohem und niedrigem Frauenanteil (und umgekehrt Männeranteil) unterschiedliche Karriere- und Lebenspläne haben: Je höher der Frauenanteil in einem Studiengang, desto höher ist die „Familienorientierung” und desto schwächer die Karriereorientierung. Für die „Leaky Pipeline” werden in der Literatur viele Gründe diskutiert, wie etwa stereotype Geschlechternormen. Agentische Eigenschaften wie Zielstrebigkeit, Kompetenz und Durchsetzungsvermögen werden häufiger mit Männern assoziiert, aber auch Mutterschaft, impliziter und expliziter Sexismus oder das Auftreten eines Matilda-Effekts. Dieser besagt, dass der Beitrag von Wissenschaftlerinnen stärker männlichen Kollegen zugerechnet wird. Es gibt also immer noch viel zu tun. Wir engagieren uns dafür, die „Leaky Pipeline” abzubauen.

    Nun werden Frauen in Führungspositionen und Männerdomänen oft hervorgehoben als die „Ausnahmen” in der von Rollenbildern gezeichneten Berufswelt.
    Wenn es gelingt, sie als Vorbilder zu porträtieren, ist das für uns wichtig. Denn gerade Vorbilder helfen mitzuentscheiden, welche Einstellungen und Vorlieben wir entwickeln – wie z. B. in einem Wettbewerb gewinnen. So könnten sich Frauen später weniger selber aus den interessanten Karrierejobs rausselektieren. Bis dato haben sie eine geringere Wettbewerbsneigung als Männer, wie es Laborexperimente zeigen. Dies könnte sich durch Vorbilder und neue Prägungen verändern.
    Hanna Odenwald

    Aufmacherbild: © UHH Esfandiari